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Alt 24.11.2009, 18:34   #1 (permalink)
Atomic
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Standard Linux - Lohnt sich der Umstieg wirklich?

In meinem 5000 Beitrag möchte ich euch einmal niederschreiben welche Erfahrungen ich mit Linux gemacht habe. Immer wieder lese ich recht extreme Rezessionen, die entweder Linux in den Himmel loben oder verteufeln. Die Wahrheit liegt wie so oft dazwischen.

Zu Linux stieg ich aus recht handfesten Gründen um. Wir die Leute hinter HX3 und Co. waren gezwungen uns einen Server anstatt eines Webspaces zuzulegen weil die Besucherzahlen und das Traffic-Volumen in die Höhe schoss. Ein teurer Managed-Server kam nicht in die Frage und so viel die Wahl auf einen Linux Rootserver. Dummerweise wusste keiner so richtig wie man so einen Server bedient. Warum also nicht auch persönlich auf Linux umsteigen... dann lernt man es am leichtesten.
Ein weiterer Grund war das ich als PHP-verliebter Hobby-Programmierer immer wieder die Erfahrung gemacht hatte das unter Windows es immer wieder zu einer Benachteiligung und unnötigen Komplikationen kommt. Das mag Heute anderst sein. Damals war das so. Apache, PHP und MySQL sind nunmal keine Microsoft Pferde.

Man kann also festhalten dass der Umstieg mehr Zwang als Wahl war.

Und ja, damals war das alles andere als einfach. Zuerst benutzt ich Suse und Mandrake Linux. Dann Gentoo und bis Heute nun mehrere Jahre lang Ubuntu.

Früher
Ich erinnere mich an eine Zeit in der man Festplatte mit Konfigurationsdateien einhängen musste und das Internet zum Laufen zu bekommen schon eine kleine Leistung war. Ja das waren Zeiten als man seinen Kernel selber kompilierte.

Über die Jahre hinweg wurde dann immer mehr automatisiert. Das geht Heute soweit das Closed-Source Hardware-Treiber von NVidia und Co. sowie unfreie Kodexe, Schriftarten usw. vollautomatisch installiert werden sobald sie benötigt werden.

Heute
Und doch ist Linux auch Heute noch nicht Perfekt. Immer noch kommt es vor das man für einen Treiber wie z.B. den Drucker meines Vaters auf die Website des Herstellers gehen muss um den Treiber zu finden.
Auch kommt es vor das nach einem Upgrade zu einer neuen Version irgendwas nicht mehr läuft. Sei es der Sound, oder eine unerwartete hohe CPU-Auslastung. Und ja dann Bedarf es Gedult. Dann heisst es im Internet nach Leuten zu suchen die das selbe Problem hatten und eine Lösung fanden.
Und es heist probieren. Man liest sich durch was die Leute im Internet geschrieben haben und probiert aus. Solange bis man das Problem behoben hat. Je erfahrener man ist, desto schneller findet man die Lösung.

Doch wo ist denn nun so wirklich der Unterschied zu Windows?
Ich möchte an dieser Stelle meine Erfahrung niederschreiben:

Systemstart und Umgang mit dem Benutzer
Der erste wirklich große Unterschied ist das Windows grässlichst überladen ist. Es ist wirklich pervers wie Lange ein Windows benötigt bis alles geladen ist. Linux auf der anderen Seite ist sehr schnell.

Unter Windows hingegen poppen munter unzählige Fenster auf. Sei es Vierenschutz, irgendwelche Messenger oder der HP Auto Updater. Adware, CD-Keys, 30-Tage Testversionen. Der Anwender wird regelrecht Totgeschossen mit Werbung aller "Kaufen sie die Vollversion, blablabla". Unter Linux hingegen gibt es all dies nicht. Das kann man nicht erklären. Das muss man erlebt haben.

Bedienung
Unter Linux wird viel Wert darauf gelegt das Anwendungen möglichst einheitlich gleich funktionieren und aussehen. Unter Windows hingegen sieht fast jede Software gleich mal fundamental anderst aus. Magic Music Maker, Norton Antivierus, Kodak Bildverwaltung. Fazit: Bunt und verspielt (Windows) vs. Kahl und einheitlich (Linux).

Installation des jeweiligen Betriebsystemes
Unter Linux:
Live-CD rein, Von CD booten, Schauen ob alles wichtige läuft, Installer auf Desktop doppelklicken und den Anweisungen folgen (Baby einfach), CD raus, Neustart.. und fertig :-)
Unter Windows:
Ist bereits vorinstalliert, ansonsten von CD booten mit ein paar Neustarts (auch Baby einfach)

Software-Qualität
Wenngleich bei Linux sich viel ausgereifte Software finden lässt, so ist die kostenpflichtige Software (Ausnahme: Spiele) unter Windows deutlich ausgereifter UND des öfteren auch SCHNELLERE. Gerade wenn es um exotischere Software wie Videoschnitt geht. Auf der anderen Seite kann muss man aber auch Erwähnen das unter Linux eben Software für Videoschnitt kostenlos und legal existiert. Ich finde es schrecklich zu sehen wie viele Leute heutzutage teure Software vorwiegend von Adobe eiskalt Raubkopiert und damit für deren Verbreitung sorgt. Würden beispielsweise mehr Leute Gimp - das wirklich eine Menge kann - benutzen fände ich hierfür deutlich mehr Anleitungen.

Software-Geschwindigkeit
Ich habe das Gefühl das unter Windows ich mit Chrome schneller surfe als unter Linux mit selbigem Browser!

Benutzerfreundlichkeit
Ein weiterer Unterschied ist die Bedienung. Unter Linux ist alles sehr einfach gehalten (ich gehen an dieser Stelle von Ubuntu mit Gnome Oberfläche aus!): "Anwendungen -> Internet -> Firefox Weg Browser" ist der Weg den der Benutzer klickt um den Browser zu finden. Bei Windows hingegen wird die Software nach Herstellern in einer extrem langen Liste "versteckt". Diese Klarheit bzw. Unklarheit zieht sich meiner Erfahrung nach durch beide Systeme hindurch. Auf der anderen Seite kommt Linux sehr schnell an seine Grenzen. Da gibt es nunmal nicht für alles eine Einstellungsoption (das mag bei KDE anderst sein). Letzthin wollte ich mir die Hardware auflisten lassen die in meinem PC verbaut ist. Puste Kuchen. Ich musste erst eine geeignete Anwendung im Software Center suchen die das kann. Das hat mich versierten PC Benutzer drei Minuten gekostet. Ich weiß nicht ob man für alles Software installieren kann. 2174 Anwendungen umfasst das neue Ubuntu Software Center. Wahrscheinlich schon. Doch ich habe gelernt meinen Webserver auf meinem PC via Kommando neuzustarten. Nämlich "sudo /ect/init.d/apache2 restart". Wenn man die Befehle kennt spart man sich unnötige Sucherei. Woher ich den Befehl kenne? Na Google! Garnicht so schwer, oder?

Software Installation und Aktualisierung
Unter Windows läd man sich die Software meist von Websites herunter, klickt sich durch deren Installer und hoft das sie einen so Anwenderfreundlichen Auto-Update-Mechanismus besitzt wie Mozilla Firefox.
Unter Linux schaut man zuerst im Software-Center nach ob die Software eine der 2174 Anwendungen ist (95% aller Fälle). Ist dies der Fall klickt man EINMAL auf installieren und kurze Zeit später findet man die Software dort wo sie sein soll. (Beispielsweise findet man Musikprogramme unter "Anwendungen -> Unterhaltungsmedien")
Ist dies nicht der Fall hofft man das es in einem Fremd-Software-Archiv die gewünschte Software gibt. Dazu muss man dann die Konsole öffnen und zwei Zeilen eintippen um dieses Fremd-Archiv dem System hinzuzufügen. Dann geht man in den Packetmanager. Klickt dort erstmal auf Aktualisieren um die Software Quellen der verschiedenen Anbieter neu einzulesen und tippt dann den Programm-Name des gewünschten Programmes ein. Wählt es aus und klickt auf "Anwenden".
Ist dies nicht der Fall hofft man das es ein *.deb-File gibt. Das man herunterladen und ausführen kann.
Ist auch das nicht der Fall so gibt es nur noch einen Weg:
Man läd sich die Packetquellen herunter und tippt ein Duzent Befehle in die Kommandozeile ein (+ läd nochmal ein Duzent andere Bibliotheken herunter die benötigt werden).
Wir haben also 4 Varianten Software zu installieren wobei in der Regel (fast immer) die erste den Job erledigt. Bei den ersten beiden Varianten ist so dass das System automatisch Updates einspielt. Bei den zwei letzteren muss man sich selber darum kümmern.

Sicherheit und Aktualisierung des Systems
Dass das Windows Update extrem langsam ist das durfte ich erst letzthin wieder erleben als ich meinem Vater sein Windows aktualisierte.
Unter Linux geht das bedeutend schneller, dafür steht so ein Update alle paar Tage an.
Wie viele Wissen gibt es unter Linux Vierenscanner nicht wirklich. Stattdessen aktualisieren die Linuxianer einfach jede Software in der ein Leck gefunden wurde. Das ist ihre Art des Vierenschutzes. Eine Art die sich bewährt hat und das System nicht beeinträchtigt wie unter Windows der Fall.
Während Windows ein Fenster aufpoppen lässt in dem der Benutzer zustimmen muss das Anwendung XY Administrationsrechte erhält wird unter Linux (ebenfalls in einem aupoppenden) Fenster weiterhin nach dem Passwort gefragt um der Software Administrationsrechte zu geben. Unterschiede gibt es dennoch: Unter Linux kann man sich nur über Umwege als Administrator anmelden. Und unter Linux kommen solche Passwort-Abfragen nur dann wenn der Benutzer auch etwas getan hat. Das hat aber vielmehr mit dem oben beschriebenen Verhalten von Windows-Software zu tun. Unter Windows scheinen die Programme zu starten und zu stoppen wann sie wollen. Man hat das Gefühl sie besitzen ein Eigenleben.

Es bleibt zu erwähnen das Software-Updates und Betriebsystem-Updates unter Linux keinen Unterschied machen: Es ist ein und dieselbe Oberfläche die einfach alles aktualisiert was installiert ist.

Stabilität
Friert unter Linux ein Programm ein, dann friert genau ein Programm ein und nicht der ganze Rechner!
An einen Komplett-Absturz unter Linux kann ich mich nicht erinnern. Nur das mal die Grafische Oberfläche abgestürzt ist - ja das habe ich erlebt.

Software-Kompatibilität
Also bei dem Punkt geht es eigentlich immer darum inwiefern Linux Windows-Dateiformate liest und nicht anderst herum.
Meine Erfahrung: Erstaunlichst gut.

Hardware-Kompatibilität
Linux mag deutlich mehr Hardware als Windows unterstützen, aber was Interessiert das den Heimischen PC-Andwender mit Windows-Hardware vom Media-Markt? Richtig, kein bisschen.
Bei meinem Laptop von Medion gehen 2 Hardware-Komponenten nicht:
1. Das Array-Mikrofon der integrierten Webcam
2. Die Medien-Tasten am Gehäuse (Play, Stop, Weiter, Zurück, WLAN). Die Leuchten zwar und reagieren auch wenn ich darauf drücke. Sie sind jedoch nicht mit den richtigen Funktionen belegt. So ist Weiter und Zurück beispielsweise mit Bild-ab und Bild-auf verknüpft was der gedachten Funktion nur bedingt entspricht.
Bei ersterem Problem fand ich keine Lösung. Bei zweiterem Problem habe ich nicht nach einer Lösung gesucht, da ich diese Tasten eh noch nie verwendet habe. Vor 2 Jahren musste ich für den Sound ein wenig handanlegen. Mittlerweile ist die Hardware-Erkennung soweit das meine Bemühungen nach einem Upgrade nicht mehr notwendig sind.
Die Vorgehensweise wenn ich nach einer Lösung suche ist wie oben beschrieben: Ich schau wer auch das Problem hat und lese mir deren Lösung durch.
Auf meinem PC gibt es keinerlei Hardware-Probleme. Beim Notebook meines Vaters musste ich ein etwas selteneres Packet im Packetmanager finden und installieren + nochmal ein Packet von der Herstellerwebsite.
So ist die Lage.

Und die Spiele?
Linux-Spiele ohne Probleme.
Was Windows-Spiele anbelangt benötigt man Wine.
Wie gut das jeweilige Spiel läuft ist auf folgender Website nachzulesen:
WineHQ - Wine Application Database

Preis
Dell verkauft Linux-Netbooks teurer als Windows-Netbooks mit der selben Hardware-Ausstattung. Betrug!

Fazit
Ich benutze nun schon einige Jahre Linux.
Und ich bin es Leid wenn mal etwas nicht geht.

Windows stellt für mich keine Alternative da.
MacOSX ist mir zu teuer.
ChromeOS ist vom Datenschutz ein NoGo.

Würde ich Linux weiter empfehlen?
Ja aber nur unter folgenden Bedingungen:
  1. Wenn das Geld für MacOSX fehlt
  2. Nur Ubuntu und nichts anderes (AUCH _NICHT_ Kubuntu!!!!!!) als Distribution!
  3. Kein Herumgehäule wenn etwas nicht so funktioniert wie bei Windows (Junge Linux ist kein Clone von Windows - begreif das endlich).
  4. Und die damit verbundene Bereitschaft wie damals bei Windows stundenlang vor dem PC zu sitzen und auszuprobieren. Solange wie notwendig.
  5. Kein Gemeckere wenn etwas nicht geht. Sowas kommt vor. Rechne damit und lern deine Probleme selber zu lösen.

Was ist Linux für mich?

Ein System gemacht von Zehntausenden Entwicklern über den ganzen Globus verteilt, die teilweise von namhaften Firmen wie IBM bezahlt werden.

Ein System das ständig in einer Art Computer-Revolution steckt und seine Benutzer deshalb dadurch quält nie ausgereift zu sein. (Ständig werden alte Systeme durch neue ersetzt.)

Ein System das frei ist: Keine Adware, 30-Tage-Testversionen, CD-Keys, Werbung, Würmer, Vieren, usw.. Den ganzen Müll gibt es hier nicht.

Ein System das Benutzerfreundlichkeit großschreibt. Genau das was man Linux vorwirft ist es nämlich ganz und garnicht. Die letzten 4 Jahre hat es hier eine mächtige Revolution gegeben.

Ein sehr schnelles und zuverlässiges System.

Ein System mit oft sehr unausgereifter Software.

Und in Plus und Minus?
+ Software Auswahl und deren Installation
+ Ruhe auf dem Desktop
+ Wartung von System und Software
+ Benutzerfreundlichkeit
+ Geschwindigkeit und Systemstart
+ Stabilität
- Lernaufwand wie man ihn immer hat wenn man sich in ein neues System einarbeitet.
- Unnötige Probleme nach Distributions-Upgrade (Kann doch nicht sein das auf einmal der Sound nicht mehr geht. Hallo wo sind wir denn?)
- Software teilweise langsammer als unter Windows
- Kompatibilität zu Windows-Spielen
- Hardware-Unterstützung nicht vollständig
- Software Qualität teilweise beschissen
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