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AndreAcé
11.11.2009, 13:46
Tod 2.0 & Trauer 2.0


Der Trend zu virtueller Trauerbekundung ist ein Phänomen.
Robert Enke ist tot.“Deutschland trauert“(laut N-TV) und flugs jagen tränentropfende
Bits & Bytes durch sämtliche medialen Wege der Selbstdarstellung und
Informationsplattformen wie Myspace,Twitter,etc.


Deutschland ist mediendiktiert in Trauer.
Das ganze Land.
Jeder einzelne also.
Ich nicht.


Was ist nur los mit mir?Es könnte daran liegen,d. Herr Enke bis
zu seiner finalen Begegnung mit der Deutschen Bahn aus eigener,
wissender Entscheidung heraus, mir in persona nicht bekannt war.


Dafür haben jetzt mehr als ausreichend sämtliche, durch Menschen erreichbare
Medien gesorgt.
Die Leute erschlagen sich quasi gegenseitig mit Online-Kondolenzen und in
mir keimt der Vergleich mit Gaffern bei einem schweren Autounfall,
nur das man in diesem Fall noch eine soziale,
vermeintlich menschliche Komponente einbringen,Verzeihung; einheucheln kann.


User und Newsschreiber zerreissen und zergehen sich in kollektiver Trauer & Betroffenheit.
Ich frage mich,wer von denen Herrn Enke als persönlichen Freund,Kollegen oder
Verwandten für sich proklamieren kann ,bzw. konnte – ich bin mir recht sicher,
die Anzahl würde unter 200 liegen und eigentlich hätten nach meinem moralischen Empfinden
auch nur diese das Recht, ihre Trauer zu bekunden.


Trauer 2.0 bzw. Tod 2.0 ist unbestreitbar zu einem gemeinschaftlichen Ereignis,
wenn nicht gar zu einer Art Event gewachsen und bringt seltsame Blüten hervor,
als Beispiel nenne ich nur den Myspaceaccount einer Nutzerin,
welche über ihrer Beschreibung des eigenen Musikgeschmackes,
welcher sich aus Industrial, Metal, Punk und
anderen ehrlichen Härten zusammensetzt,
ein Bild vom „King of Pop R.I.P.unforgettable“ angebracht hat.
Mal ehrlich, was soll das, wie paßt das?!
Spontane Memorandien als Sympathieträger?


http://www.bilder-upload.eu/thumb/7Iiehixuu2P09xW.jpg (http://www.bilder-upload.eu/show.php?file=7Iiehixuu2P09xW.jpg)



Tod & Elend in den Medien sind halt ein Garant für Quoten und Seitenaufrufe aber
die Steigerung inklusive Schamlosigkeit und Anstandsmangel erfolgt meinem Empfinden
nach steil und mit rasanter Progredienz.Die Gesellschaft stumpft sich selber ab.Es gilt, Präsenz um jeden Preis zu bieten und zu erkämpfen.


Am Ende bleiben mir Fragen; wer greint um alle John und Jane Doe's,
die sich in unserer Gesellschaft in aller Stille das Leben nehmen, wer um die
Kinder in ehemaligen Kriegsgebieten, welche zerrissen von Landminen für uns
in der Ferne „unhörbar“ ihr Leben zu hunderten aushauchen?
Wer um die zig 1000 Toten,täglich dahingerafft von Hunger, Seuchen
und Krieg & inkompetenten Regierungen?


Braucht Anteilnahme und Erschütterung in unserer Gesellschaft erst
ein populäres Antlitz, um in die Gedanken und Empfindungen Einzug zu halten?
Mir naht sich der Gedanke an Perversion.

Da ich ein Menschenfreund bin, bleibt mir zumindest die Hoffnung,
d. Depression als ernste Erkrankung in mehr und anderem Licht im Bewußtsein der Öffentlichkeit stehen wird.

Sorry,d. musste jetzt mal von mir gesagt werden.

Lester
11.11.2009, 15:12
Haste schön gesagt, ich bekomm jedesmal die Kretze wenn ich jemand "Mein herzliches Beileid jemandem Zuheucheln höre, der gerade mal den Betroffenen vom hörensagen kennt".

Ich hab mein Beileid bislang nur Leuten bekundet zu denen ich Kontakt hatte oder zumindest weiß das diese den Betroffenen auch definitiv sehr viel bedeutet haben, dabei werde ich es auch weiterhin bleiben lassen.
(Es mag auch Leute geben die besonders mitfühlsam sind, aber das groh ist pures geheuchel !)


Aber mal eine unfreiwillig komische wenn auch bittere Anekdote dazu gestern abend bei einem MMO(RPG). :angel:

Schreibt da einer im Chat:
Robert Enke ist tot o.O
darauf ein anderer:
hat er wenigstens was anständiges ge'dropt ?

Zur Erklärung für nicht MMO Spieler:
Dort treiben sich da gewisse Bossgegener rum, die dann zumeist daran zu erkennen sind das sie einge Namen tragen und wenn sie tot sind meistens eine Chance besteht das sie besonders gute Ausrüstungsgegenstände fallenlassen (Spielerjargon: Drop'en)
Nun verhält es sich so, das Einsteiger nicht jeden Boss namendlich kennen und auch mit Fussball nichts am hut haben, daher die Antwort !

deralky
11.11.2009, 15:19
Naja mir geht diese Medienpräsenz auch auf die Nerven ok es ist schlimm wenn wer so bekanntes stirbt aber dann reicht es auch wenn es in den Nachrichten einmal gesagt wird und gut ist vielleicht noch warum aber mehr auch nicht genauso wie mit Micheal Jackson das ging mir sowas von auf die nerven das ich nur über Leute lachen konnte welche ja ach so großes Mitleid mit der Familie haben. Wäre es nur als Randnotiz gekommen hätten es weit weniger Trauernde gegeben vermute ich mal.

Snevsied
11.11.2009, 17:29
Robert Enke ist tot o.O
darauf ein anderer:
hat er wenigstens was anständiges ge'dropt ?



Das würde auch zu mir passen. Nie was von dem Gehört, bis auf heute.

Pelzgurké
11.11.2009, 18:14
Das würde auch zu mir passen. Nie was von dem Gehört, bis auf heute.

hm... kenn ich aber auch nicht :(
Hab vorhin mal mein Vat gefragt wer das ist und er meinte das er auch in der Nationalm. drin war :oh:

Walk
12.11.2009, 00:35
Naja zum einen ist Deutschland eine Fussball Nation...
zum andren muss Robert Enke eine korifee im Fussball gewesen sein, wenn auch leider im Hintergrund.


Leider schramme ich damit etwas am Thema vorbei, wollte es aber erwähnt haben.


Und spätestens seit Michael Jackson wissen die Medien, wie sowas ziehen kann.


Für uns sollte es daher primär ein Zeichen sein, dass das was Enke widerfahren ist, mittlerweile jedem 5. widerfährt der unter Depressionen leidet.



Von daher finde ich es peinlich, wenn man sich einerseits über die Medien aufregt, anderseits aber eigendliche Problem das überhaupt erst dazu geführt hat. Komplet außer Acht lässt...


Und Anteilnahme als Heuchel'n zu bezeichnen nunja derjenige will bestimmt einsam und alleine vor sich hin sterben...

AndreAcé
12.11.2009, 03:38
[...]
Für uns sollte es daher primär ein Zeichen sein, dass das was Enke widerfahren ist, mittlerweile jedem 5. widerfährt der unter Depressionen leidet.

:daumen:



Von daher finde ich es peinlich, wenn man sich einerseits über die Medien aufregt, anderseits aber eigendliche Problem das überhaupt erst dazu geführt hat. Komplet außer Acht lässt...


Und Anteilnahme als Heuchel'n zu bezeichnen nunja derjenige will bestimmt einsam und alleine vor sich hin sterben...

Mir ging es um diese Flut von Trauerbekundungen,welche ich im öffentlichen Raum gelesen habe.
Ich bin der Meinung,
bei aufrichtiger Anteilname kann man sich auch im Stillen direkt an die Witwe/Hinterbliebenen wenden können.
Mir entgeht die Wichtigkeit, warum unbedingt alle lesen können/sollen, d. ich mich in Trauer befinde.
Wie gesagt, mein Verständnis von Anstand läßt mich die Frage stellen, ob die Aufrichtigkeit sich der Selbstdarstellung unterordnet.

Ich habe einfach halt das Gefühl, das es "hip" ist sich als Anteilnehmender einer Tragödie zu präsentiern, ohne das ein Beleg für eine direkte emotionale Beteiligung erkennbar ist.

Über die (News-)Medien an sich habe ich mich weniger aufgeregt.Der Zug ist abgefahren, Kommerz kennt heute kaum Anstand oder Rücksicht.
Mir ging es um die Konsumenten(Zweitverwerter) eben dieser Medien,welche sich das Geschehen auf ihren(eigenen) Pages glauben zu Nutze machen zu können, nicht um die Macher.
Beispiel auf Twitter:


sich selber umbrîngen , ist das letzte verschissene recht, das wir sklaven haben! respektiert das

Wobei ich das noch als relativ originell empfinde.

Klar hätte ich mehr über die Ursache (Depression) schreiben können als mit dem vorletzten Satz, kommt evtl. nach Recherche @Enke in einem zweiten Beitrag :)

Walk
12.11.2009, 09:16
Naja als hier der schwere Unfall passiert ist, war täglich der Laden voll mit Leuten die sich erkundigt haben wie's ihm denn geht ob er überlebt hat usw...

Das geht noch bis heute so, erst gestern wieder einen sehr netten Menschen und guten Kunden im Laden gehabt, dem man erst über einen Monat danach berichten konnte was passiert war.

Ich bin der Meinung,
bei aufrichtiger Anteilname kann man sich auch im Stillen direkt an die Witwe/Hinterbliebenen wenden können.
Mir entgeht die Wichtigkeit, warum unbedingt alle lesen können/sollen, d. ich mich in Trauer befinde.
Wie gesagt, mein Verständnis von Anstand läßt mich die Frage stellen, ob die Aufrichtigkeit sich der Selbstdarstellung unterordnet.

Geht mir zum Teil auch so und ich hab mich gestern Abend als ich auf YouTube die ersten RIP video's gesehen hab auch nur gedacht.
"m,key , warten die mittlerweile schon drauf, dass sowas passiert!"


Aber ich muss auch sagen ich hab Anteilnahme gezeigt, nicht auf YouTube oder so, sondern in einem sehr privaten Kondolenzbuch das denk ich mal erstmal die Angehörigen lesen werden/können bevor es veröffentlicht wird.


Mir ist da aber grad noch ein sehr gutes Beispiel eingefallen mit dem ich das ganze wohl eher erfassen kann. Stichwort Schuhmacher...

flickflack
12.11.2009, 09:29
Ich bin tief bewegt. Mir fehlen die Worte. Das muss ich ersteinmal sacken lassen. Ich habe vieles erwartet, aber das nicht. Ich bin unendlich traurig. Eine bemerkenswerte Persönlichkeit ist von uns gegangen. [add more]

Jemand der sich vor einen Zug wirft hatte wenigstens eine Wahl. Der dem eine Bombe auf den Kopf fällt, hatte Pech. Derjenige der verhungert oder verdurstet hatte Unglück.

Soviel Heuchelei* sorgt bei mir für Kotzkrämpfe!

* - Bei "gesellschaftlicher" Anteilnahme

Lester
12.11.2009, 11:52
Amschlimmsten sind eh die Leute die jetzt am rumheucheln sind, aber von den Problemen wußten und nicht einmal versucht haben zu helfen. :sauer:

Grundsätzlich bleibe ich aber dabei, man muß den Verstorbenen gekannt haben und/oder wissen wie viel der den Hinterbliebenen wirklich bedeutet hat, um irgendwie eine ehrliche Anteilnahme aussprechen zu können. :komisch:

Alles andere kann man bestenfalls als Überraschung/Bestürzung werten, mehr aber auch nicht.

Walk
12.11.2009, 11:56
Dito...

Duke49th
17.11.2009, 03:29
Gleichgesinnte:) Wie schön.

Kurz vor ab: Bei Deißler (schreibt der sich so?) hat damals ein jeder gehetzt, er solle sich nicht so anstellen, er würde doch genügend "Schmerzensgeld" für seine Depressionen bekommen.

Jetzt nimmt sich der Enke das Leben wegen depressionen und plötzlich wollen alle Verständnisvoll sein. (komisch formuliert, aber ich denke ihr wisst worauf ich hinaus will...)


In jedem Fall stimme ich zu das es (fast) alles heuchler sind.

Statistisch verhungern alle 6 Sekunden ein Kind auf dieser Welt. Rund 25.000 pro Tag usw.

Da heult aber komischwerweise niemand rum. Die Leute zeigen noch nicht mal (auf)richtige Betroffenheit.

Aber kaum das ein Promi den Löffel abgibt, sind alle plötzlich geschockt, in Trauer und verstehen die Welt nicht mehr, wie ein einzelner Mensch sterben konnte.

Ich find das Verhalten der Leute echt total daneben. Und ich sage den ganzen Fusballfritzen die ich kenne auch knallhart ins Gesicht das sie sich in meinen Augen total deneben benehmen. Und das es ein unding ist, sich da jetzt so rein zu steigern.


@Walk: Ist ja auch ein Unterschied wie ich Anteilnahme zeige. Na klar wird sich niemand (gesundes) darüber freuen das er gstorben ist. Natürlich ist es immer traurig wenn ein (vor allem junger) Mensch stirbt.

Aber so wie sich die Leute dann immer äußern ist es heuchlerisch. Die entsprechenden Leute tun immer so als ob sie persönlich einen geliebten Menschen verloren haben.
Dabei sterben ständig Menschen. Warum also stelle ich mich mit Tränen in die Kamera und sage das ich tief betroffen bin wenn es einen Promi erwischt.
Wenn aber z.B. von zivilen Opfern bei einem Luftangriff in Afghanistan die Rede ist, hörste die Leute plöztlich nicht von Betroffenheit und tiefer Antailnahme reden.
Im Gegenteil.
Dann heist es oft "Pech gehabt", "dumm gelaufen" oder auch "aber so läufts halt eben, ist ja Krieg" und ähnliches.

Darum empfinden es einige von uns als heuchelei.



Und zum Thema Depressionen: • Forum anzeigen - Depressionen (http://www.depression-diskussion.de/viewforum.php?f=5)
Vielleicht kann dann der eine oder andere ansatzweise nachvollziehen wie schlimm Depressionen für einen sind. Verstehen tun es eh nur Betroffene!

Ich finde aber (als betroffener) auch sehr wichtig das die Leute für dieses Thema mehr sensibilisert werden.
Es ist eine wirklich schlimme Krankheit.

Aber hier wirds wie bei allen anderen Themen auch sein.
Jetzt ist es kurzfristig aktuell und wird wahrscheinlich in den nächsten Tagen und Wochen von allen möglichen möchtegern Experten diskutiert.

In ein paar Wochen kräht kein Hahn mehr danach.

Mahoo
19.11.2009, 07:18
Endlich mal Normal Leute hier, die das aussprechen was ich denke!! Ich kannte den Herrn Enke vorher auch nicht, also hält sich meine Trauer auch in Grenzen.

Aber wenn ich sehe und höre wie der King of Pop vor seinem Tod als Pädophiler und Geisteskranker hingestellt wurde, und nach seinem Tod wird ihm auf jedem Sender eine Gedenksendung verschafft. Dann bekomme ich das brechen!!

xezon
26.11.2009, 18:37
[...] die Anzahl würde unter 200 liegen und eigentlich hätten nach meinem moralischen Empfinden
auch nur diese das Recht, ihre Trauer zu bekunden.
Wie du schon schreibst ist das nach deinem "moralischen Empfinden" so. Das heißt nicht, dass es jeder so sieht wie du.
Mir z.B. missfällt hier glasklar, dass du menschliche Emotionen einem Rechtsempfinden unterordnest. Das finde ich sehr prikant, da es auf einer Weise die Würde des Menschen untergraben würde.

Soll doch jeder das lesen/gucken was ihm gefällt. Wenn Artikel über Trauer viele Klicks/Zuschauer haben, gibt es ihrem Dasein einen soliden Rückhalt und sie sind es daher auch zukünftig Wert, abermals verwendet zu werden.

AndreAcé
27.11.2009, 16:36
Wie du schon schreibst ist das nach deinem "moralischen Empfinden" so. Das heißt nicht, dass es jeder so sieht wie du.
Das ist mir klar war ja mein Antrieb zum schreiben.Ich habe auch niemanden direkt angewiesen wer,wie & wo zu trauern hat - das wäre doch zu anmaßend.Es ist lediglich eine Darstellung meines Empfindens,trotzdem hat dieses mediale Ereignis in mir Aufregung erzeugt.

Mir z.B. missfällt hier glasklar, dass du menschliche Emotionen einem Rechtsempfinden unterordnest. Das finde ich sehr prikant, da es auf einer Weise die Würde des Menschen untergraben würde.
Emotionen machen uns menschlich und sind Teil der uns eigenen lebendigen Leidenschaft.
Das Rechtsempfinden im allgemeinen sorgt dafür,d. wir in der Lage sind,bezüglich unserer Emotionen eine Rückbetrachtung durchführen zu können (was uns vom Tiere unterscheidet) und somit durch Leitlinien/Moral/Ethik oberhalb oder wenigstens auf gleicher Höhe der Gefühle verhindern,das wir uns durch Emotionen zu sehr treiben lassen,was zwangsläufig wesentlich wahrscheinlicher zu einer Untergrabung der menschlichen Würde führen könnte.

Deshalb ordne ich weiterhin (für mich) das Rechtsempfinden den Emotionen über.

Soll doch jeder das lesen/gucken was ihm gefällt. [...]

So ist es, danke für Dein Feedback :)