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Alt 24.07.2012, 11:17   #15 (permalink)
INNOCENT&CLUELESS
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Beschneidungsdebatte: Politische und juristische Komplikationen - SPIEGEL ONLINE

Zitat:

Vor wenigen Jahren dann ein Begründungswechsel in dem Strafrechtskommentar von Thomas Fischer, der auf dem Schreibtisch jedes Staatsanwaltes steht: Die Beschneidung sei ganz klar tatbestandsmäßig eine Körperverletzung, "bei Kindern kann sie durch Einwilligung der gesetzlichen Vertreter gerechtfertigt sein".
Was heißt "kann"? Die Einwilligungsbefugnis der Eltern reicht nur so weit wie ihr Personensorgerecht. Und dies ist laut bürgerlichem Gesetzbuch begrenzt auf Maßnahmen, die "dem Wohle des Kindes" dienen. Besonders heikel ist so die elterliche Zustimmung zu medizinischen Eingriffen, die nicht zwingend medizinisch notwendig sind.
Streiten kann man noch bei manchen Schönheitsoperationen: Ist es zum Wohle des Kindes, wenn die Eltern den Doktor bitten, die hässlich abstehenden Ohren gleich beim Säugling anzulegen? Wie ist es mit den Ohrlöchern, die manche Eltern manchen kleinen Mädchen stechen lassen?
Doch die Auffassung, die Beschneidung jüdischer oder muslimischer Knaben sei im Sinne dessen, was deutsche Juristen "Kindeswohl" nennen, hat im christlich geprägten Staat des Grundgesetzes keine Chance. Aus der Sicht des Grundgesetzes wäre die Behandlung von Beschneidungen als Maßnahme im wohlverstandenen Interesse der Kinder ein übler Trick - "eine empathielose Bagatellisierung dessen, was man Kindern mit der Beschneidung antut", so der Bochumer Strafrechtsprofessor Rolf Dietrich Herzberg.


Zitat:

Im Fall eines unausweichlichen Konfliktes zwischen zwingendem religiösen und zwingendem strafrechtlichen Gebot, so Karlsruhe, müsse der Staat auf die "seelische Bedrängnis" eines Menschen Rücksicht nehmen. Eine Strafe "wäre eine die Menschenwürde verletzende soziale Reaktion".
Gemessen an diesem Maßstab geht es darum, die Menschenwürde jüdischer Eltern zu schützen, indem sie gesetzlich von Strafe für die Beschneidung ihrer Kinder geschützt werden. Und in der Konsequenz wäre es ebenso möglich, die Ärzte von Strafe freizustellen, die bei der Erfüllung zwingender religiöser Gebote helfen.
Doch was ist mit der Würde der Beschnittenen? Der Jenaer Rechtsprofessor Günter Jerouschek tritt seit langem öffentlich gegen ein Sonderrecht der Beschneidung an: Wer minderjährige Kinder, ob Juden oder Muslime, die Vorhaut entferne, der verletze den unantastbaren Kernbereich des kindlichen Persönlichkeitsrechts: Eine solche Körperverletzung sei eine "Brandmarkung" und darum - auch - ein Verstoß gegen die Menschenwürde.


Menschenwürde der Eltern gegen Menschenwürde des Kindes: Dieser Verfassungskonflikt besteht freilich nur aus nicht-jüdischer Sicht. Den betroffenen Eltern, dem Arzt, dem Rabbi und sehr wahrscheinlich auch dem Kleinen, wenn er mal groß ist, wird es nicht einleuchten, warum die Beschneidung den Kern der kindlichen Persönlichkeit, seine Menschenwürde, verletzt. Sollen deutsche Juristen deutschen Juden erklären, was es mit ihrer Menschenwürde auf sich hat?
Vielleicht eine zu große Herausforderung.

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