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Alt 18.09.2005, 05:35   #14 (permalink)
Clausewitz
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Zitat von Knallkopf

Ich bin auf deren Rettungsbus als Praktikant mitgefahren, also eine durchaus Organisations übergreifende Aktion zum Sammeln von Erfahrungen und schönen Erinnerungen.

Öhm.. wasist denn ein Rettungsbus? Dieses gelbe Teil? Was ist denn da drin und was ist die taktische Aufgabe dieses Gefährts?

Ich war ja nun auch von Freitag bis Montag da und ich bin zweimal mit nem Bus von Jülich aufs Marienfeld gefahren, aber das war reiner Transport von Einsatzkräften. Da war son weißer DRK- Bus dabei, war nen bischen merkwürdig das man da mit Wegerechten zum Gottesacker gekarrt wurde.

Rettungsbusse, welche im taktischen Sinne Verwendung finden zur sanitäts- oder rettungsdienstlichen Versorgung von Patienten habe ich da nicht gesehen.
Ich kenne da auch nur die Konzepte des früheren GroßraumRTW, sozusagen nen ÖPNV-Liegewagen mit Blaulicht drauf.

Mal nebenbei: bei dem Event ist ja jeder Spinner mit Blaulicht rumgefahren! Mir gings einfach nur auf den Keks. Völlig vom Glauben abgefallen (schönes Wortspiel in dem Zusammenhang) bin ich, als nen THW- Gabelstapler außen ums Marienfeld mit Blaulicht rumfuhr.

Zur taktischen Lage: ich hab einen Tag nen RTW besetzt in Jülich und war zwei Nächte auf dem Acker.
Ich hab auch noch irgendwo nen Stapel Einsatzunterlagen, den finde ich aber gerade nicht. Ich war jedenfalls Nachtschicht in so ner netten Unfallhilfsstelle.
Von der Einsatzstruktur war das mit der gängigen SEG vergleichbar, 20 EK pro Einsatzabschnitt.
Die materielle Ausstattung war dürftig bis miserabel. Ganz zu schweigen von dem Problem der Verantwortlichkeit nach MPG. Wir hatten da zwar nen Lifepack 10 und diverse andere Medizingeräte, aber niemand wußte wo das Zeug herkam uns ob es technisch in Ordnung war. Also haben wir unseren mitgebrachten RTW ausgeräumt und das Zeug da verwendet.

Da ein RTW aber keine UHS ist sondern ein Rettungsfahrzeug, fehlte natürlich zum Teil einfach die Masse an Material. Und die Logistik war absolut miserabel! Sowas habe ich in den zwanzig Jahren die ich da mittlerweile mitmache noch nicht erlebt! Die Grundausstattung wie gesagt sehr dürftig. was soll ich mit zwei RR-Meßgeräten wenn ich aber fünf RS und fünf RA sowie zehn SanHelfer habe? Womit sollen die denn arbeiten?
Basisausstattung: fünf Infusiosen Sterofundin oder Ringer. Nen Witz. Warum sage ich gleich.

Dann war ja nun nach zwei Tagen auch das eine oder andere verbraucht. Um Ersatz zu bekommen haben wir es bei der Abschnittleitung angefordert. Sechs stunden Lieferzeit für Wundschnellverband!
Die Nacht von samstag auf Sonntag war die arbeitsintensivste. Was absehbar war. Und mich auf die Palme gebracht hat.
Ich weiß nicht ob wer von euch nachts auf dem Acker war, aber das sah aus wie in nem afrikanischen Flüchtlingslager. Es war arschkalt, ich hatte meine schwere Winterjacke an (die ist wirklich sehr warm) und als ich ne halbe Stunde auf nem Feldbett lag war mir ziemlich kalt.

In der Situation kamen dann im medizinischen Sinne unterkühlte -also nicht nur frierende- Menschen an und verlangten nach Decken. Aber der Stab -S3 und S4 haben sowas zu verantworten- hatten nicht eine Decke als Ausrüstung zum Herausgeben an Personen vorgesehen. wir hatten nur den Bestand, den wir zum Betrieb der UHS brauchten.

Beispiel: da kam eine Mutter mit zwei ca. zwei Jahre alten Kleinkindern auf dem Arm an und wollte eine Decke für die Nacht. Die hatte für die Kinder nichts adäquates an Bekleidung dabei! Also habe ich sie mit so Einwegdecken aus Zellstoff versorgt. Was anderes hatten wir nicht.
So ging das bis ca. zwei Uhr nachts. Dann erschien auf diesen Videoleinwänden plötzlich ein Hinweis, das es Decken gegen die Kälte bei den UHS geben würde. Wer hatte sich denn das einfallen lassen? Natürlich wäre es nötig gewesen, die Leute mit Decken zu versorgen. Aber die Idioten hatten gar keine geliefert, geschweige den im Bestand vorgesehen. Ich habe extra in die Ausrüstungsliste der UHS geschaut.

Gegen drei Uhr eskalierte die Lage dann. Wir hatten alle drei Zelte voll mit Unterkühlten. Unsere fünf Infusionen haben wir dann in mit der Kaffeemaschine erwärmten Wasser aufgeheizt um die Patienten damit zu behandeln.
Schließlich ist uns der Kragen geplatzt weil der georderte Nachschub einfach nicht kam und wir haben einfach sechs RTWs und ein NEF zur stationären Versorgung geordert und die geplündert.
Zwei Mann sind zu der "Apotheke" marschiert um Nachschub dort selbst abzuholen. Sie sollten in erster Linie Venenverweilkanülen und warme Infusionen mitbringen. Leider bevorratete diese "Apotheke" nur soviel davon, daß sie mit fünf Infusionen und zehn grünen Braunülen zurückkamen. Ich dachte ich breche ab...

Ende vom Lied: bis sechs Uhr morgens Patienten in Zelten aufgewärmt, soweit als möglich ins BWRettungszentrum verlegt.
Ein logistisches Desaster.

Das zwar auch für mich der größte jemals durchgeführte Sanitätsdienst, an dem ich teilgenommen habe. Ich habe nun ja auch schon einiges an größeren Einsätzen absolviert, aber selbst in der desaströsen Lage in Dresden 2002 war die Logistik besser.

Zahlen, soweit ich sie richtig erinnere:
850.000 Besucher auf dem Marienfeld
2500 Einsatzkräfte Sanitätsdienst
15.000 Einsatzkräfte Polizei und BW
2500 Patienten in der Zeit von Freitag abend bis Montag morgen.
Wobei erst ab Samstag morgen auf dem Acker Gäste waren.

Einsatztaktisches Fazit auf Zugebene:

Mitführen eigenen Materials ist unausweichlich. Der Rückgriff auf gestellte Ausstattung ist suboptimal un in der Regel unzuverlässig. Bereitstellung eigener Logistikkompenenten aud Einsatzabschnitt-Ebene erforderlich.
Möglicherweise umfangreichere Logistikkompenente im Verfügungsraum bereitstellen.
Vorherige Überprüfung der Führungs- und Nachschuborganisation, soweit nicht vom eigenen Verband gestellt.

Anmerkung: ich war da als Teil der Sanitätsbereitschaft der Hilfszugabteilung V (Hessen) des DRK- Hilfszuges. Das ist die Einheit, die 2002 in Dresden eingesetzt war. Wir hatten also schon etwas Erfahrung in bezug auf große Lagen.
Als vorteilhaft erwies sich der enge Kontakt mit der Führung der HZA. Da man sich kannte waren Entscheidungen und Meldungen immer zeitnah möglich.
Die eigene Logistik im Verantwortungsbereich der HZA V -also Betreuungs- und Verpflegungs- sowie Unterkunftsdienst waren exzellent organisiert. Das Problem ergab sich in der übergeordneten Einsatzführung. Die wurde nicht vom DRK gestellt.

Weitere Feststellungen: es hat sich absolut bewährt, sich auf zusätzliches eigenes Material, auch Fahrzeuge, zu stützen. Das Mitführen eines RTW mit zeitgemäßer Ausstattung (GPS- Navigation) war im unbekannten Einsatzraum ein enormer Vorteil, da doch weitestgehend auf zivile funktionierende Verkehrssituationen zu treffen war.
Weiterhin hat es sich als sinnvoll herausgestellt, eigene Einsatzdokumentation zu betreiben.
Die Einsatzdokumentation vor Ort war rechnergestützt und lief über Email. Das führte auch zu einer nutzlosen Informations- und Meldeflut, die im sinne des Führungskreislaufes ohne Konsequenz blieb. Beispiel: Abschnittleitung fragt an, wieviele Besucher ohne ausreichenden Wetterschutz für die Nacht seien. Unsere Antwort: 20.000. Leider erfolgte keine Konsequenz aus der Meldung, denn sonst wäre das Desaster in der Nacht vermeidbar gewesen.
Sprachkenntnisse: unumgänglich. Deutsch habe ich nur im Basislager gesprochen. Bei derartigen Veranstaltungen muß darauf geachtet werden, das EK mit Fremdsprachenkenntnissen verfügbar sind. Wir konnten Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Portugiesisch abdecken. Aber es waren auch Chinesen da...

So. Hoffe das ist interessant für euch. Bilder habe ich zwar, die muß ich aber erst sortieren und hochladen. Außerdem fehlen noch die der Kameraden. Wenn die da sind gibts auch Bilder.

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Das ständige Nachgeben der Klugen begründet die Diktatur der Dummen.
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